Zwei Herzen in einer Brust.
Andreas Wernik ist Jäger und Mountainbiker. Er kennt auf beiden Seiten die Regeln und die schwarzen Schafe. Der Zerrissene im Interview über SingleTrails, Rotwild und Range Rover.
Interview: Christoph Heigl
Fotos: Thomas Polzer
Haben Sie den Aufkleber „Achtung, bikerfeundlicher Jäger“ am Auto?
Nein, aber manchmal wäre der nicht schlecht (lacht). Wie kürzlich, als ich als Jäger vom Hochstand runterkomme und mich von Weitem ein Mountainbiker auf der Forststraße sieht. Der hat auf der Stelle umgedreht und ist davongerast. Dabei wollt ich ihm zurufen: Vor mir brauchst ka Angst ham, i tua da nix!
Verstehen alle Jagdkollegen ihre Biker-Sympathien?
Manche haben nicht unbedingt Verständnis dafür. Wer mir mit Schwarz-Weiß-Denken und Gut-und-Böse- Mustern kommt, ist bei mir aber eh beim Falschen. Aber angefeindet werde ich nicht, ganz im Gegenteil.
Wie sind Sie zum Biken gekommen?
Ich bin Mountainbiker der ersten Stunde, schon seit Ende der 1980er. Damals bin ich mit meinem Scott Boulder völlig konfliktfrei auf Forststraßen gefahren, kaum jemand hat Mountainbiken gekannt. Die Liebe zur Natur hat sich dadurch und auch durchs Berggehen weiter vergrößert.
Und seit wann sind sie Biker UND Jäger?
Ich wollte einfach noch mehr über die Natur, über die Tiere und ihre Lebensweise wissen. Wobei ich am Anfang noch gesagt hab: Ich will auf keinen Fall schießen (lacht). Jäger bin ich seit zehn Jahren. Seitdem verhalte ich mich in der Natur ganz anders, die Zusammenhänge sind mir klarer. Ich nehme mich zurück. Mit der Stirnlampe abends oder nachts durchs Gelände fahren, das mache ich nicht mehr. Jetzt schlagen eben zwei Herzen in meiner Brust. Und damit wird mir die Unwissenheit auf beiden Seiten bewusst: Der Jäger hat wenig Verständnis für das ungezügelte Freizeitverhalten der Naturnutzer, der Naturnutzer wenig bis kein Wissen über den Förster und Jäger.
Hatte der Mountainbiker Wernik Konflikte mit Jägern?
Ja klar, ich bin mehrmals angehalten worden, einmal vor 20 Jahren unmissverständlich sogar mit einer Waffe. Aber ich hatte immer Respekt und habe nie jemanden beschimpft. Und wenn ich jetzt als Biker im Wald angehalten werde, versuche ich es mit Aufklärung meiner Jagdkollegen. Zum Beispiel, dass in der prallen Mittagssonne das Wild eh nicht unterwegs ist. Also mehr mit Hausverstand als mit Gesetzen. Es ist leichter, wenn auf beiden Seiten Verständnis da ist.
Gibt es mehr Konflikte im Wald als früher?
Natürlich. Die Bevölkerung wird laut Studien bald zu 75 Prozent in städtischen Ballungsräumen leben. Diese Menschen wollen dann zum Ausgleich in die Natur und das ist auch gut so, weil es auch im Sinne der Prävention und Gesundheit ist, dass wir, vor allem die Kinder, uns mehr bewegen. Vor 40 Jahren hat es Wanderer und Schwammerlsucher gegeben. Heute sind Unmengen an Läufern sowie Walker, Geo-Cacher, Schneeschuhwanderer, Skitourengeher, Quadfahrer und E-Biker unterwegs. Die Zahl und Aufenthaltsdauer der Menschen in der Natur hat sich enorm vergrößert, der Naherholungsraum Wald ist aber gleich geblieben. Das führt zu Konflikten. Und weil alle berufstätig sind, drängt es sie in den Tagesrandzeiten in den Wald. Wenn ich um 5 Uhr früh am Hochstand sitze, biken schon die Ersten mit Stirnlampen Richtung Berg. Und um 21 Uhr kommen die Letzten von den Hütten. Ich verstehe das, aber den Wildtieren bleibt weniger Ruhezeit.
Aktuelle Studien belegen, dass die Konflikte zwischen Bikern und Wanderern noch viel zahlreicher sind als mit Jägern, weil es zahlenmäßig eine ganz andere Dimension ist.
Die Tageszeit spielt also eine wesentliche Rolle?
Als Jäger sage ich, dass man mittags bei prallem Sonnenschein das Wild nicht stört, aber sehr früh und abends in der Dämmerung bei der Äsungsaufnahme sehr wohl. Da sollte man nicht biken, schon gar nicht bei Nightrides mit starken Lampen. Das Wildleben ist von komplexen Kreisläufen geprägt, das wissen leider nur die wenigsten. Rehwild ist z. B. ein Kulturfolger und kann sich noch relativ gut anpassen, es gewöhnt sich an regelmäßige Zeiten. Es schaut kurz auf, wenn ein Biker tagsüber vorbeifährt, beäugt ihn aus der Ferne, schätzt das Gefahrenpotenzial ein und fertig. Das Rotwild hingegen ist viel sensibler und auf der Flucht ein Dauerläufer. Wenn Panik ins Rudel kommt, laufen sie, bis sie im nächsten Tal sind, im Extremfall 15 bis 20 km. Was das für eine Beunruhigung ist, kann man sich ausmalen.
Hand aufs Herz, sind Sie beim Biken im Wald immer legal unterwegs?
Die eine oder andere Forststraße mit Fahrverbot fahre ich schon. Ich betrachte sie als Zubringer, als Übergang, als Einstieg. Noch viel lieber fahre ich auf Singletrails und Wanderwegen statt auf monotonen Forststraßen. Dort gibt es keinen Spaß und keinen Flow. Wenn Trails technisch anspruchsvoll sind, ist das eine Herausforderung. Singletrails sind für Biker halt das Salz in der Suppe. Ich versuche dabei, geländeschonend zu fahren und keine Bremsspuren zu hinterlassen. Was im Gardasee-Geröll kein Problem ist, hinterlässt im Waldboden eben Spuren. Und ich versuche, einen für mich gangbaren Kompromiss zu finden. Österreichs spezielle Situation ist eben, dass Biker vom Forstgesetz her grundsätzlich nicht erlaubt sind, Wanderer aber schon. Da bedarf es noch einiger Lösungsansätze, auch einige Gesetze sind reformbedürftig.
Wie werden Sie mit ihrem Spezialthema von Bikern wahrgenommen?
Nach dem ersten Mountainbike-Kongress in Saalbach wurde ich von vielen Tourismusregionen mit der Bitte um Vorträge und Mediation kontaktiert. Das Gesetz, der Forst, das Wild, der Tourismus, die Besitzer – das alles konfliktfrei unter einen Hut zu bringen, ist eine echte Challenge. Aber ich bin mit ganzem Herzen Biker und habe die Liebe zur Natur. Damit kann und werde ich auch versuchen, das Negativimage der Jäger bei den Bikern ins Positive zu korrigieren.
Warum ist das Image der Jäger unter Mountainbikern so negativ?
Vor allem aus Unwissenheit. Alles, was ein Grünrock ist, wird in diese Sparte geworfen (lacht.). Dabei gibt es Jägerfamilien, wo Wissen, Tradition und Liebe zur Jagd von Generation zu Generation, vom Opa über den Vater zum Sohn, weitergegeben wird. Die schwarzen Schafe unter den ca. 120.000 Jagdkartenbesitzern in Österreich sind unter denen zu finden, die mit dem Range Rover bis zum Hochstand fahren, schnell den Abschuss machen und sich den Hirsch auch noch liefern lassen, weil das Golfturnier schon wartet. Ich kenne auch Geschichten von Jägern, die Biker zum Absteigen zwingen und sie fünf Kilometer lang vor ihrem SUV das Rad schieben lassen, bis sie aus dem Revier sind. Auch Jäger, die ihre Kompetenzen bewusst überschreiten, zählen zu den schwarzen Schafen.
Und wer sind die schwarzen Schafe unter den Mountainbikern?
Alle, die in der Natur rücksichtslos herumfahren, den Aspekt des Wildes völlig vernachlässigen und egoistische Naturnutzer sind. Schwarze Schafe sind Biker, die den Wald und die Wege als Selbstbedienungsladen und Spielplatz betrachten. Höchst faszinierend ist für mich auch der Typ Mensch, der am Wochenende mit dem Mountainbike herumfährt und unter der Woche aus dem Auto die Radfahrer beschimpft.
Einige fordern die Öffnung aller Forststraßen und die Freigabe aller Wanderwege für Biker? Sinnvoll?
Für mich privat macht es kaum einen Unterschied, aber es entstünde eine zusätzliche Belastung für die Wildtiere und ihren Lebensraum. Eine generelle Öffnung ist nicht notwendig, weil rund 25.000 der etwa 120.000 Kilometer Forststraßen für Biker bereits geöffnet sind. Sinnvoller wäre für mich eine gezielte Öffnung und Lenkung z. B. in Tourismusregionen oder dort wo sich durch eine schöne Runde mehrere Hütten verbinden lassen. Bei Wanderwegen und Steigen ist das nicht so einfach, weil es mehr Konfliktpotenzial mit Wanderern mit sich bringt. Für solche Fälle gibt es räumliche und zeitliche Entflechtungen und das Konzept von „Shared Trails“. Nur eines muss man auch bedenken: Die Erträge von Grundeigentümern durch die Verpachtung für die Jagd werden in der Regel immer höher sein als die Abgeltung von Tourismusverbänden für Mountainbike-Konzepte.
Wie kann man das Konfliktpotenzial entschärfen?
Mit mehr Wissen, Aufklärung und mehr Verständnis. Jäger wissen ja noch am ehesten Bescheid, was ein Mountainbike ist und was man damit tut. Aber umgekehrt? Welcher Biker setzt sich mit den Aufgaben und Pflichten des Jägers, mit Flora und Fauna auseinander? Ich habe vier Jagdzeitschriften im Abo und in jeder ist dasselbe Credo: Aufklärung der nichtjagenden Bevölkerung. Würden beide Seiten mehr voneinander wissen, könnte man viele Konflikte entkräften. Es wäre schön, wenn Bike-Magazine Artikel über die Jagd bringen würden. In der Praxis sorgen aber ein paar schlechte Beispiele für negative Schlagzeilen in den Medien und schon ist Öl im Feuer. Vielen Bikern rate ich zum Verzicht: Auch wenn der Trail gerade sehr reizvoll wäre, bewusst auf den Genuss verzichten. Einfach weniger Egoismus.
Wie wird sich die Situation weiter entwickeln?
Die Jungen in der Jägerschaft sind gefordert und ich bin da sehr optimistisch. In Salzburg sind gerade 400 Jungjäger aus der Ausbildung gekommen, darunter viele Frauen. Viele dieser Jäger sind auch sportlich unterwegs, als Biker oder Skitourengeher. Es braucht aber noch viel Information und Aufklärung und viele gute Beispiele wie in Salzburg und Tirol. Wir beginnen im Kindergarten und in den Volksschulen mit Waldpädagogik. Wir sind auf einem guten Weg.